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Fünf Dubia-Fragen von fünf Kardinälen kurz vor Beginn der Weltsynode. Fünf Antworten von Elke Göß

 

Meine Antworten gehen an Walter Kardinal Brandmüller (Vatikan), Raymond Kardinal Burke (USA), Juan Kardinal Sandoval (Mexiko), Robert Kardinal Sarah (Guinea) und Joseph Kardinal Zen (Hongkong).

 

Sehr geehrte Eminenzen,

Ihre Dubia-Fragen haben Sie am 10. Juli 2023 an Papst Franziskus gerichtet. Heute wurde die Antwort des Papstes durch den Vatikan veröffentlicht. Sie liegt mir nur in Ausschnitten, die die deutsche Presse zitiert hat, vor.

Ihre Dubia-Fragen waren nicht an mich gerichtet. Die Antworten von Papst Franziskus respektiere ich im vollen Umfang. Vielleicht haben Sie Interesse, meine nicht maßgebliche Meinung dazu zu lesen.

 

Einleitung

 

Wäre ich Päpstin, würde ich mich um Ihre Ängste sorgen. Drei von Ihnen sind bereits über 90 Jahre alt, Kardinal Burke ist 75 Jahre alt und Kardinal Sarah zählt 78 Jahre. Ihre Dubia entspringen stärker Ihren Ängsten als Ihren Zweifeln. Wäre ich Päpstin, wäre ich besorgt, dass Sie sich ängstigen. Ich würde Ihnen mitteilen, dass Sie keine Angst um die römisch-katholische Kirche haben müssen. Von Anfang an hat sie sich immer wieder verändert. Sie hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder den Herausforderungen gestellt und sich den geforderten Veränderungen angenähert. Die Kirche ist eine Institution, die vom Geist Gottes geleitet wird. Diesem Geist Gottes sind Veränderungen inhärent. Dennoch müssen die Glaubenswahrheiten, die sich über Jahrhunderte bewährt haben, mit besonderer Vorsicht betrachtet werden, ob sie noch der Wahrheit und dem Willen Gottes entsprechen. Die Veränderungen, die der Geist Gottes an der Kirche bewirken will, können Angst und Zittern hervorrufen. Je näher ein Gläubiger oder eine Gläubige Gott kommt, desto mehr verhüllt er oder sie sein oder ihr Gesicht angesichts der Gegenwart des allmächtigen und allgegenwärtigen Gottes. Die Kirche muss deshalb immer „ecclesia semper reformanda“ bleiben, da sie dem Geist Gottes gehorcht. Die Angst und der Zweifel können in Freude und Jubel übergehen, wenn die Fülle der Gnaden Gottes durch das Wirken des Heiligen Geistes erkannt wird.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen komme ich zu Ihren fünf Fragen.

 

1. Bleiben Segnungen homosexueller Paare verboten?

 

Die Frage der Segnungen homosexueller Paare scheint stark vom Zeitgeist geprägt zu sein. Die Bibel wehrt homosexuelle Handlungen an mehreren Stellen als eindeutig sündig ab. Dahinter steckt eine Abgrenzung von Sexualpraktiken, die in der griechisch geprägten Kultur des Altertums üblich waren.

Die Frage, ob Homosexualität Sünde ist bzw. wann sie sündhaft gelebt wird, bedarf einer eingehenden theologischen Auseinandersetzung und Würdigung. Dabei kann und darf das biblische Zeugnis nicht zeitbedingten Forderungen weichen oder angepasst werden. Das biblische Zeugnis muss jedoch auch vor seinem eigenen historischen Kontext interpretiert werden.

Segen ist nach dem biblischen Zeugnis eindeutig positiv konnotiert. Die biblischen Segensvorstellungen reichen weit in die Kulturen des Altertums hinein, in deren Gegenwart das von Gott geleitete Volk Israel im Altertum existierte. Segen hat nichts mit einer Bitte um Hilfe zu tun. Das Verlangen, gesegnet zu werden, hat aus biblischer Sicht nichts mit der individuellen Sehnsucht nach einem besseren Leben zu tun. Um gesegnet zu werden, muss man nicht vorher bereuen oder beichten. Alle diese Vorstellungen haben keinen Bezug auf das Alte Testament.

Ich habe meine alttestamentliche Proseminararbeit über den Aaronitischen Segen (Numeri 6, 22-26) geschrieben und über diese Bibelstelle meine erste Predigt 1984 im zweiten Semester meines Theologiestudiums in einer kleinen Gemeinde in Mittelfranken auf dem Land gehalten. Ich habe als Vikarin an der Münchner Lukaskirche in den Jahren 1992/1993 einen Gesprächskreis für Homo- und Heterosexuelle gehabt. Wir haben sehr ausführlich darüber gesprochen, ob homosexuelle Paare gesegnet werden können. Vorbehaltlich der oben genannten, noch ausstehenden theologischen Klärung der Frage, ob oder wann homosexuelle Handlungen sündhaft sind, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass aufgrund des biblischen Zeugnisses, was der Segen ist, der eben nicht von pastoralen Erwägungen abhängt, Homosexuelle einzeln oder als Paar gesegnet werden könnten. Die Voraussetzung ist, dass sie die Bedeutung und den Wert des Segens, den der Priester im Namen Gottes ausspricht, kennen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Menschen gesegnet werden und nicht ihr homosexuelles Verhalten. Die Menschen, gleich welcher Hautfarbe und gleich welcher Herkunft, sind Geschöpfe Gottes nach der biblischen Schöpfungsgeschichte. Ihr Tun ist entweder böse oder gut oder zumeist beides gleichzeitig. Nach Paulus haben die Menschen nie die Möglichkeit, das ausschließlich Gute zu vollbringen. Sie werden immer scheitern und das Böse tun: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ (Römer 7,19). Dies gilt für heterosexuelle wie für homosexuelle Menschen.

Selbstverständlich müsste bei einer Praxis der Segnung Homosexueller oder homosexueller Paare im Vordergrund stehen, dass sie als Menschen gesegnet werden. Man könnte die Liebe eines Paares thematisieren und nicht so sehr auf die homosexuellen Handlungen abzielen.

Eine klare Unterscheidung zwischen einer Ehe von heterosexuellen Paaren und einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft ist aufgrund der sehr starken biblischen Verheißungen, die mit der Ehe verbunden sind, angebracht.

Ein sehr wichtiger Aspekt des Segnens ist die Treue. Zuerst ist damit die Treue Gottes gemeint. Sie verlangt und freut sich über die Antwort des Menschen, der Gott treu ist. Im alttestamentlichen und im neutestamentlichen Bundesgedanken wird die Zusage der Treue Gottes und das Verlangen Gottes nach der Treue der Menschen ausgedrückt. Im Aaronitischen Segen bedeutet die Aufforderung an Aaron und an dessen Söhne, sie sollen den Namen Gottes auf die Israeliten legen (Numeri 6,28) eine Reminiszenz an den Bundesgedanken.   

Ohne eine umfassende theologische Klärung von Seiten des Papstes sollte die Segnung homosexueller Paare nicht auf dem Weg des heimlichen Praktizierens durch die Hintertür Usus werden. Eine Weltsynode kann nur das biblische Zeugnis wahrnehmen und annehmen und die Praxis des Segnens memorieren. Sie kann den Wunsch nach zukünftigen Segnungen unter Wahrung der Gefühle anderer Gläubiger äußern, indem sie den Satz des Apostels Paulus beachtet: „Bloßes Wissen macht überheblich. Was uns voranbringt, ist die Liebe“ (1.Korinther 8,1). In der Liebe nimmt der Christ und die Christin Rücksicht auf den Bruder oder die Schwester, die Anstoß an einer rituellen Praxis nimmt (vgl. 1. Korinther 8,13).

 

2. Bleibt die Weihe von Frauen zu Priesterinnen verboten?

 

Bei dem Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“, das der Heilige Papst Johannes Paul II. an Pfingsten 1994, am 22. Mai 1994, im 16. Jahr seines Pontifikates verfasst hat (vgl. Ordinatio Sacerdotalis (22. Mai 1994) | Johannes Paul II. (vatican.va)), handelt es sich um ein „Apostolisches Schreiben“, nicht um eine Enzyklika oder um ein Dogma.

Damit ist alles gesagt. Dieses „Apostolische Schreiben“ ist die einzige Äußerung eines Papstes zu diesem Thema. Die Frage, ob Frauen zu Priesterinnen geweiht werden können, bedarf einer noch eingehenderen theologischen Erörterung wie die Frage der Segnung homosexueller Paare. Die Erarbeitung und die Abfassung theologischer Erörterungen ist nicht die Angelegenheit einer Weltsynode, da die am 4. Oktober 2023 beginnende Weltsynode zahlreiche Laien ohne theologische Vorbildung einschließt. Der zeitlich gesteckte Rahmen der Weltsynode, die im Herbst 2023 und im Herbst 2024 tagen soll, wäre hierfür völlig ungeeignet. Die Weltsynode wird somit nur ein Votum bzw. ein Stimmungsbild zu diesem Thema abgeben können. Eine Beschlussfassung läge außerhalb ihres Kompetenzrahmens.

Besser wäre es gewesen, wenn die Weltsynode erst dann getagt hätte, wenn diese theologischen Fragestellungen durch theologische Expertinnen und Experten römisch-katholischen Glaubens bearbeitet worden wären und für die theologische Entscheidungsfindung aufbereitet worden wären. Damit wäre die Weltsynode ihrem Auftrag, als Volk Gottes an der Mission der Kirche teilzunehmen, am besten nachgekommen.

 

3. Wird es künftig Lehren in der römisch-katholischen Kirche geben, die bisherigen Lehren widersprechen?

 

Der Heilige Papst Johannes XXIII. brachte mit dem Begriff des „Aggiornamentos“ die Notwendigkeit zum Ausdruck, dass sich die römisch-katholische Kirche der Moderne öffnen muss, um ihrem Sendungsauftrag gerecht zu werden.

Bereits im Altertum gab es konkurrierende Lehren. Sie wurden im Lauf der Zeit gegeneinander abgewogen und das Gute wurde behalten (vgl. 1. Thessalonicher 5, 21).

Bringt man das „Aggiornamento“ und die biblische Aussage des 1. Thessalonicher 5,21 in Beziehung zueinander, so könnte es sein, dass zwischenzeitlich miteinander konkurrierende Deutungen nebeneinander bestehen könnten. Im Lauf der Zeit wird sich das Gute und das von Gott Gewollte durchsetzen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Lehren vollständig oder teilweise Irrlehren beinhalten oder dass sie Missverständnisse generieren. „Deshalb, seid wachsam und haltet euch bereit. Denn ihr wisst nicht, wann euer Herr kommen wird.“ (Matthäus 24,42). Die Wachsamkeit von Ihnen, verehrte fünf Eminenzen, in Bezug auf die Lehren der römisch-katholischen Kirche erfreut das christliche Herz im Angesicht Gottes.

 

4. Wird die Weltsynode im Vatikan eine Autorität ausüben, die eigentlich dem Papst und dem gesamten Bischofskollegium vorbehalten ist?

 

Der Eindruck könnte entstehen, dass die Weltsynode in die Autorität des Papstes oder der internationalen Bischofskonferenz eingreift. Papst Franziskus möchte die Missionierung durch die Kirche stärken. Dazu hat er vor allem die nicht-europäischen Kirchen in den vergangenen Tagen erheblich gestärkt. Ob der Prozess der gemeinsamen und gemeinschaftlichen Meinungsfindung durch eine Weltsynode befördert werden kann, ist fraglich. Die Weltsynode besteht nur aus Delegierten, die der Papst selbst ausgewählt und zugelassen hat. Sie entspricht keinerlei Proporz. Ihre Legitimierung wurde sowohl von Geistlichen wie von Laien in Frage gestellt. Eine fragwürdige Legitimierung wird kaum zu einer starken, durchsetzungsfähigen Autorität führen. Unter diesem Aspekt könnte die Weltsynode sogar der Weltkirche Schaden zufügen. Die bisherigen, etablierten, gut funktionierenden und bestens vernetzt arbeitenden Leitungsgremien der römisch-katholischen Kirche würden für den Fall, dass ihre Autorität als wankend dargestellt werden würde, sicherlich einen nicht zu toppenden institutionellen Vorteil besitzen.

Nicht beeinflusst von diesen Ausführungen hat Papst Franziskus bereits Monate vor Beginn der Weltsynode betont, dass die Teilnehmenden der Weltsynode aufeinander hören sollen, dass sie sich im Schweigen üben sollen und dass die Weltsynode ausschließlich beratenden Charakter besitzt. Papst Franziskus hat sich damit das alleinige Entscheidungsrecht vorbehalten. Als „Primus inter pares“ wird er bei seinen Entscheidungen die Kollegialität der internationalen Bischofskonferenz suchen bzw. - kirchenrechtlich festgelegt - suchen müssen.

Kurz könnte die Antwort auf diese Frage lauten: „Nein“.

 

5. Kann es in der Beichte eine Lossprechung ohne Umkehr und Reue geben?

 

Es kann nach biblischem Zeugnis keine Lossprechung ohne Reue geben. Die Umkehr ist die Frucht der Reue und der Lossprechung.

Sollte hinter dieser Frage die Haltung stecken, dass die römisch-katholische Kirche zuerst beichten müsste, Reue zeigen müsste, dann umkehren müsste, um dann erst die Frucht der Freiheit durch die Lossprechung genießen zu können und dass sie nur auf diesem Wege Neuerungen einführen kann, dann muss die Antwort lauten, dass sich die römisch-katholische Kirche mit oder ohne Lossprechung von ihren eigenen Sünden ändern kann und muss. Eine Sündenvergebung ist keine conditio sine qua non für eine Veränderung.

 

Verehrte Eminenzen, ich hoffe, dass meine Antworten Ihnen gefallen haben und dass unser geschwisterliches Miteinander nicht getrübt wurde durch meine Antworten. Es läge mir fern, Sie zu verärgern oder ein Anstoß für Sie zu sein (vgl. 1. Korinther 8,9).

 

Gottes reicher Segen begleite Sie bei Ihrem Engagement für unsere römisch-katholische Kirche.

Mit freundlichen Grüßen,

Elke Göß

 

Regensburg, 2. Oktober 2023

 


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